Zuggeschichten

4 12 2007

Kapitel 1: Ironie am laufenden Band (Ilmenau – Göttingen) 

Eigentlich war es ja ganz einfach geplant: ich kaufe in Ilmenau am Fernverkehrsautomaten meine Fahrkarte bis zum Fahrtziel, steige in die Erfurter Industrie Bahn bis Neudietendorf (bis dahin gilt das Semesterticket) und habe dort eine gemütliche halbe Stunde um in den Regionalexpress nach Göttingen umzusteigen. Soweit so gut – doch es kam natürlich alles anders: 😯
Zu Beginn musste ich feststellen dass „auf den Zug rennen“ im Vergleich zu „auf den Zug gehen“ doch manchmal die bessere Alternative ist, insbesondere dann wenn man auch noch vorhat entsprechendes Schienenvehikel zu nutzen. 😉 Dies hielt natürlich mein Mobiltelefon nicht davon ab das zu tun was es als bestes kann: klingeln. Es meldete sich ein netter mir sehr bekannter junger Herr, der freundlich nachfragte wann und wo er mir denn die ihm geliehenen 20€ wiedergeben kann. In Anbetracht der knappen Zeit und der aufleuchtenden Frontscheinwerfer des in den Bahnhof fahrenden Zuges musste ich dankend ablehnen. Was mir noch zum Verhängnis werden sollte…
Im anfahrenden Zug machte ich mir so die ersten Gedanken wo und wie ich denn nun die Fahrkarte von Neudietendorf bis Göttingen (oder noch besser gleich bis Hannover) bekommen sollte. Meine Luftschlossbauerei wurde abrupt vom Schienenersatzverkehr unterbrochen. Hat was, wenn alle Fahrgäste eine Polonaise im Gänsemarsch hinaus in den Regen machen und frierend auf den Anschlusszug zu warten. 8) Zwei Stadionen später dasselbe Spiel dann nochmal.
Da Neudietendorf nur einen Fahrkartenautomaten für Nahverkehr besitzt beschloss ich spontan in Arnstadt den Zug zu verlassen, zum Fahrkartenautomaten zu gehen, mir schnell das Ticket herauszulassen und wieder in den wenige Minuten später abfahrenden von Saalfeld aus kommenden RE in Richtung Erfurt einzusteigen. Zug hält, zur Sicherheit nochmal schnell auf den Fahrplan geschaut, die Treppen hinuntergesprintet, auf der anteren Seite wieder hochgehechtet, mit strahlenden Augen den Fahrkartenautomaten gefunden und siehe da: besetzt. 😈 Da dies der einzige war musste ich natürlich warten, bin kurz davor die EC-Karte einzuschieben, da fährt auch schon mein Zug ein. Also nix mit Fahrkarte und die Unterführung wieder zurück gesprintet. 😆
Innerhalb einer 3/4tel Stunde stand ich somit schon in Zug Nr. 4 und bemühte mich den dort innerhalb installierten Fahrkartenautomaten zu bedienen, der selbstverständlich nur für Nahverkehr Tickets auswirft. Doch die Rettung nahte, eine Schaffnerin tauchte auf. Wunderbar, welche Erleichterung, somit konnte ich sie gleichmal damit beschäftigen eine Fahrkarte von Neudietendorf nach Hannover, einfache Fahrt mit Bahncard50 in ihr schlaues Gerät einzugeben. Da fiel mir plötzlich ein: „Kann ich bei Ihnen eigentlich per EC-Karte zahlen?“ „Nein, nur mit Kreditkarte, Geldkarte oder bar.“ Ersteres besitze ich nicht, zweiteres nutze ich nicht und letzteres konnte wohl durch eines der vielen Löcher im Geldbeutel 😉 auf mir völlig unerklärliche Weise der Schwerkraft nicht mehr länger trotzen und war bis auf 9,70€ versickert. Leider zu wenig, also beschloss ich spontan doch keine Fahrkarte zu kaufen, schließlich musste ich auch schon aussteigen dann die Bahn fuhr gerade in Neudietendorf ein.
Gerade fiel mir ein, dass ein paar Minuten vor meinem Anschlusszug noch ein Bummelzug Richtung Gotha fährt, dort hätte ich bestimmt einen Fernverkehrsautomaten gefunden. Also ganz schnell an den einzigen in Neudietendort vorhandenen Automaten und ein Nahverkehrsticket für die 10 Minuten nach Gotha gezogen, doch zu spät, denn da fuhr der Zug auch schon am anderen Bahnsteig auch schon ab. 🙄
Noch ein Versuch was denn der Nahverkehrsautomat noch so für ungeahnte Möglichkeiten offenbaren würde… „Hmmm, Anschlussfahrkarte für Fernverkehr fur 15€, eintauschbar gegen richtige Fahrkarte beim Zugbegleiter oder in Ihrem Reisezentrum.“ Na logisch, Freitag spät Abends haben ja auch alle Reisezentren noch auf, klar. Zu meinem Vergnügen – ja so langsam war ich wirklich auf den Geschmack gekommen – nimmt der Automat natürlich auch keine EC-Karte, sondern nur Geldkarte. 👿 Der Preis war zu leider hoch für Bargeld, da offenbarte sich mir in schwarzen Lettern auf weißem Grund die Lösung der nervenaufreibenden Jagd: „Göttingen“. Mal schaun wieviel das kostet… War ja klar: 10,60€. Leider war der nächste zufällig anwesende Passant nicht so ansprechend auf meine Ansage in der Art von wegen: „Haste mal n Euro!?“ Das klappte nicht so ganz wie ich mir das vorgestellt hatte, denn aufgrund des Kaufes der Nahverkehrskarte nach Gotha fehlten mir ja ganze 3€, was eigentlich gar nichts aber manchmal eben auch die ganze Welt ist. 🙂
Die Gnadenfrist schien abzulaufen: in spätestens 10 Minuten wird der Regionalexpress in Gotha sein. Also heißt das im Klartext: in Gotha raus, an den Automaten, hoffen dass der Zug lang genug braucht um die Fahrtrichtung zu wechseln und schnell wieder hereingesprungen. So der Plan, dacht ich mir – doch das war heute ja schon mal schief gegangen und ich steckte mittendrin. 😆
So frug (oder fragte) ich meinen Nebensitzer, ob er denn wisse wie lange der Zug in Gotha halten würde. Seine Antwort machte bei mir auch noch den letzten Funken Hoffung zunichte, denn im schlechtesten Fall heiße dass verpasster Zug und dann mit Fernverkehr über Fulda nach Göttingen, was einen zustätzlichen Zeitaufwand von 1 1/2 Stunden und Mehrkosten von 15€ ausmachen würde. Noch 5 Minuten. 8) Ich fragte ihn ob er denn noch 3€ für einen armen Studenten übrig hätte… Es entwickelte sich ein interessantes Gespräch, denn er kam zufällig auch aus Ilmenau. „Klar, kann er schon machen, er würde seine Fahrkarte eh immer im Zug beim Schaffner kaufen.“
War ich erleichtert, aber doch mit den Nerven völlig am Ende als der Zug in Gotha einfuhr und ich mir um die restlichen 150 Kilometer keine Sorgen mehr machen musste. 😀
Die Ironie an der Sache: es kam kein Schaffner und ich habe mir somit auch noch 10€ gespart. Toll! 😆

Kapitel 2: Von heißen Mädels und scharfen Schlüpfern (Göttingen – Hannover)

Am nächsten Tag führte mich mein Weg weiter in die niedersächsische Hauptstadt. Für das kurze Stück von Göttingen aus lohnt es sich durchaus mit dem langsameren, dafür aber nicht weniger gemütlichen, Metronom über die Nebenstrecke zu fahren. Außerdem hat man von den Doppelstockwagen aus eh eine bessere Sicht auf den orange, gelb und blau leuchtenden Sonnenuntergang. 😀
Aufgeschreckt durch ein lautes Lachen aus den Sitzreihen hinter mir wendete ich meinen Kopf um 180° und stellte zu meiner größten Verwunderung fest, dass bei Metronom ab 1.Dezember neue Zugbegleiterinnen eingesetzt werden:

Als dann doch die richtige Schaffnerin auftauchte fand sie das Kostüm mit den Strapsen so ungewöhnlich und lustig, dass sie spontan in ihre Gesäßtasche griff, ihr Mobiltelefon herausholte und ein Foto schoss!!! 😆 Junggesellenabschiede sind schon toll, was!? Vor allem wenn alle so einen riesen Spass daran haben wie bei einem spontanen Telefonat mit der zukünftigen Ehefrau: „Nein Schatz, wir brauchen doch nicht heiraten, ich habe nun selber Brüste!“ 😀
Die Aufgabe war es möglichst viele Sachen aus dem Präsentkorb gegen Bezahlung an (un)freiwillige Zuggäste zu verkaufen. Naja – bleibt die Frage wer hier gegen seinen Willen handeln musste. „Ich feier heute meinen Junggesellenabschied.“ Die rosa Haare und das weiße Puschelschwänzchen schwenkten sich aufreizend. „Ich MUSS Ihnen etwas verkaufen.“
Bei so einem Spass macht man natürlich mit und ich hab dafür ja schließlich auch noch 2 Schnäpse und ein Bier bekommen. 8)
Viele Grüße an die ganze Truppe und viel Glück, Thomas! 😉

Kapitel 3: La Bombe (Hannover – Ilmenau)

Was bleibt einem auf der Rückfahrt nach einem langen und fröhlichen 1.Adventswochenende übrig, wenn der Body-Mass-Index auch schon mal bessere Werte gesehen hat? Nun: wenn der Bummelzug trötend, quietschend, krachend und scheppernd durch die Kurven rattert / mein Lieblingsaushilfsbahnarbeiter sich mit seinem Wagen einen Weg durch die Sitzreihen erkämpt und die ganze Zeit über in seinen schwarzen Rauschebart in breitestem Sächsisch „Kakao, Cappucino, Tee, etwas Kaltes?“ nuschelt / der Schrankenwärter in der orangenen Warnweste freundlich seine Hand zum Gruße hebt / am Streckenrand die letzten Reste von Schnee in silber glänzenden Bahnen die braunen Herbstblätter hinunterrinnen / eine ältere Dame mit zerknitterten Lidl-Tüten sich um die Matschpfützen auf dem Bahnsteig herumkämpfend über den Schienenersatzverkehr aufregt „Ja sollen die jungen Leute ruhig nochmal 1945 miterleben. Aber damals waren wir Trümmer!“ / ja dann ist die Welt noch in Ordnung und man freut sich insgeheim: endlich zu Hause. 😀
Die ältere Dame sollte übrigens Recht behalten, denn keine Stunde später war die Strecke aufgrund eines Bombenfundes komplett gesperrt. Aber da war ich bereits auf dem Weg zu meiner Vorlesung, aufgerissen aus Träumen dem Alltag hinterhertrottend.